
Schon wieder eine Reise, die bei meinen Freunden Kopfschütteln auslöste. Albanien hielten die einen für gefährlich – das ist doch das Land, in dem es noch die Blutrache geben soll – die anderen hielten es für so rückständig, dass eine Reise schon aus praktischen Gründen gar nicht möglich wäre. Beide Gruppen bezogen wohl ihre Kenntnisse aus Karl Mays “Im Land der Skipetaren” und der einen oder anderen nicht sehr schmeichelhaften Pressenotiz. Nun ja, wir hatten einen Reiseveranstalter gefunden, der in Wort und Bild die Vorzüge des Landes schilderte, der auch in seinem Katalog und auf seiner Website sehr seriös wirkte. Und ein kurzer Anruf bestätigte diesen Eindruck – die Antworten auf unsere vielen Fragen waren so kompetent, dass wir uns sagten: auf dieses Abenteuer in das „letzte Geheimnis Europas“ lassen wir uns ein.
Erste Eindrücke: Tirana
Der Beginn war herzlich normal: ein Flug mit einer Lufthansa-Tochter über Wien nach Tirana – ein funkelnagelneuer Flughafen, benannt nach der gebürtigen Albanerin Nana Teresa, ein kurzer Transfer in die Stadt und dann die erste Überraschung: das Nationalmuseum glänzt mit Funden aus der Stein- und Bronzezeit, besonders aber mit illyrischen und griechischen Funden vom Feinsten, einige „aus dem Meer gefischt“. Doch davon später mehr. Tirana selbst kommt auf den ersten Blick etwas langweilig daher. Sicher, es hat eine schöne alte türkische Brücke und eine erhalten gebliebene Moschee im Stadtzentrum. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts hatten italienische Architekten der Stadt ein großzügiges Design verpasst, ein wenig illyrisches EUR. Aber wie in vielen Städten gibt es Bausünden – und das früher verschlossene Viertel der Nomenklatura unter Enver Hodscha wirkt erstaunlich kleinbürgerlich. Am Abend wacht die Stadt aber dann auf, man merkt, wie jung sie ist, viel Musik auf den Plätzen und in den zahlreichen Bars, schlendern, sehen und gesehen werden. Und schließlich das Hotel – wenn es Zweifel gab, sind sie jetzt ausgeräumt: die vier Sterne entsprechen durchaus unserem Standard, das Abendessen ist gut, das lokale Bier ebenfalls. Und im Hintergrund werden wir über das aktuelle Fußballspiel der Weltmeisterschaft in Brasilien auf dem Laufenden gehalten. So kann es weitergehen.

Am nächsten Morgen wollen wir nach einem ausführlichen Frühstück zunächst mehr über Albanien erfahren. Ein Professor der Wirtschaftswissenschaften einer der albanischen Privat-Universitäten steht uns Rede und Antwort über das Bildungs- und Sozialsystem, über Wirtschafts- und politische Fragen. Ohne Frage, das Land ist arm, hängt am Tropf der im Ausland arbeitenden Albaner (immerhin fast ein Drittel der Bevölkerung), versucht aber in die Bildung zu investieren – und hofft auf Europa. Im „Vatikan“ des Bektashi-Ordens, eines schiitischen Sufi-Ordens, werden wir vom Oberhaupt des Ordens empfangen, der uns die Bektashi vorstellt und auf die zahlreichen Fragen der Gruppe eingeht: eine beeindruckend tolerante Richtung des Islam, dem Gewissen verpflichtet, der Familie als Kern der Gesellschaft, und einem sehr gleichberechtigten Frauenbild. Und zum ersten Mal sprechen wir über die Hodscha-Zeit als Albanien hermetisch abgeschottet wurde und die Religionen verboten wurden. Die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung der Orthodoxen, Katholiken, Schiiten wie Sunniten ist vielleicht ein Grund für den toleranten Umgang miteinander. Denn als wir später in Vlora in der sunnitischen Moschee den Imam nach seinem Verhältnis zu den Schiiten fragen, spricht er davon, dass beide Richtungen dort kooperieren und die dortige Moschee gemeinsam nutzen – wie anders als das, was man zeitgleich aus dem Irak hört. So bescheiden die Räumlichkeiten der Bektashi sind – in unmittelbarer Nachbarschaft entsteht eine neue Teke, eine Moschee, in der sich der Glanz Allahs und der zwölf Imame widerspiegeln soll. Wir freuen uns darauf, sie bei einem späteren Besuch fertig erleben zu können.
Auf der Via Egnatia nach Ohrid in Makedonien
Dann folgen wir der alten Römerstraße Via Egnatia, die einst Rom (als Via Appia bis Bari) und Konstantinopel verband. In einigen Abschnitten ist sie bereits gut ausgebaut, andere lassen vermuten, dass sie zu Römerzeiten schneller befahren werden konnte. Sie führt uns nach Ohrid am gleichnamigen See, durch den heute die Grenze nach Mazedonien verläuft. Albanien ist als Staat nur wenig über 100 Jahre alt – und die Grenzziehungen um die Zeit des ersten Weltkriegs erfolgen nach „Kolonialmanier“ und entsprechen nicht den ethnischen Grenzen. Wie im nahegelegenen Kosovo wird auch im Westen Mazedoniens noch viel albanisch gesprochen, eine eigene Sprache, die …mit dem benachbarten Slawisch nichts gemein hat und für uns auch wenig Anknüpfungspunkte bietet. Glücklicherweise sprechen die Guides ein ordentliches Deutsch, andere – insbesondere die Museumsdirektoren, die uns führen – ein exzellentes Englisch. Verständigung ist daher kein Problem, und für einen Einkauf von etwas Obst reichen auch Hände und Füße, wenn man sich verstehen will.

In Ohrid begegnen wir der Orthodoxen Facette, war es doch einst Metropolitensitz, hatte im Mittelalter eine berühmte Schreibschule, lieferte Manuskripte in den Balkan bis in die Ukraine. Die Tradition geht zurück auf Kliment und Naum, zwei Schüler von Kyryll und Method, die nach deren Tod die Tradition aufgriffen, weiterentwickelten und weiterverbreiteten. Die Kirche Sveti Kliment von 1295 ist aufs schönste innen und außen ausgemalt – in einem Stil, der Giotto um Jahrzehnte vorwegnimmt: Ausdrucksstarke Gesichter, so ganz anders als der byzantinische „Standard“. In Korca sehen wir, daß trotz Hodschas Bildersturm gelang, eindrucksvolle Ikonen zu retten – weitere sollten wir in Berat sehen. Plötzlich ist ein Team vom albanischen Fernsehen da, möchte wissen, wie uns Albanien gefällt – gut! – und ob wir Albanien als einen Teil Europas erleben – ja! Kulturell und historisch ohne Frage. Aber es bleibt vor einem EU-Beitritt noch viel zu tun.
Der Süden: Landschaft, Landschaft, Landschaft

Was folgt, umschrieb eine Mitreisende mit: Landschaft, Landschaft, Landschaft! Entlang der griechischen Grenze geht es durchs Gebirge – eindrucksvoll mit seinen zum Teil schneebedeckten Bergen und tiefen Schluchten, einsam, mit inzwischen selten gewordenen Tieren wie Bären oder Wölfen. Die Straße hatten einst die Italiener gebaut – zu Beginn des Zweiten Weltkriegs – und hier waren auch deutsche Truppen durchgezogen. Wieviel entspannter kann man heute diese Welt genießen. Gegen Abend noch ein Stückchen Weltkulturerbe: Gjirokaster, eine typische Kleinstadt im türkischen Stil mit „Tausend Fenstern“ zu Füssen einer trutzigen Festung. Ähnliches werden wir in Berat sehen. Doch zunächst geht es an die Küste. Bei Saranda sind in den letzten Jahren viele Hotels entstanden, der abendliche Blick fällt auf Korfu, beinahe in schwimmbarer
Entfernung und doch früher für die Albaner unendlich weit weg. Die zahlreichen kleinen Bunker, die wir überall im Land sehen, vermitteln ein Bild von der Psychose des Hodscha Regimes, das dafür keine Kosten scheute und die breite Armut im Lande dafür in Kauf nahm.
Die Küste — ein Landstrich voller Geschichte

Die Küste Albaniens wurde früh erschlossen: auch hier gründeten die griechischen Städte ihre Kolonien, auch Albanien war Teil von Magna Graecia. Butrint ist ein Beispiel dafür: von Korinth gegründet, später von den Römern übernommen, ein Äskulap-Heiligtum mit Theater, später christliche Kirchen mit prächtigen Mosaiken – schließlich venezianisch und dann eine einfache Burg des Ali Pascha. Heute geht es wieder viel lebhafter zu, kommen doch zahlreiche Besucher aus Korfu für eine Stippvisite. Ähnliches sollten wir weiter im Norden in Apollonia sehen – eine große Ausgrabungsstätte, die erst zu einem Prozent erschlossen ist, beeindruckende Funde im kleinen, gut gemachten und geführten Museum – in der Antike wohl 50.000 Einwohner! Hier hatte Octavian studiert, in der Nähe hatte Caesar seinen Gegenspieler Pompeius geschlagen… Wir genießen den Rest des Tages am Meer – Albanien hat (anders als Kroatien) viel Sandstrand – und die Buchten mit den vorgelagerten kleinen Inseln sind herrlich zum Schwimmen und Schnorcheln. Am Abend hoch auf den Berg über Saranda mit der nächsten Burg. Von hier hat man einen phantastischen Blick aufs Meer und den Sonnenuntergang – ideal, um in der Gruppe bei einem albanischen Rotwein die Tage Revue passieren zu lassen.
In Berat begegnen wir erstmals einer Burgstadt, wie sie typisch für den Norden Albaniens ist: befestigt, auf dem Berg gelegen, mit zahlreichen Kirchen, Häusern, Kopfsteinpflaster. Die Kathedrale ist heute Museum und beherbergt eine sehr schöne Sammlung von Ikonen insbesondere von Vater und Sohn Onufri. Und – wie an so vielen anderen Stellen – ein Restaurant mit typisch albanischen Speisen: gefüllte Auberginen und Paprikaschoten, Ziegenkäse, Blätterteigrollen, Tomaten, ein Schisch, dazu den lokalen Rotwein, … „alles Bio“, wie unser Guide uns immer wieder erklärte – Albanien könne gar nicht anders produzieren. Ein Gespräch mit dem UNESCO-Beauftragten der Stadt in dessen Atelier zeigt auch, dass moderne Kunst in Albanien einen Platz – und einen Markt – hat.
Der Norden: Skanderbegs Land

Kruje nördlich von Tirana ist die nächste derartige Burgstadt, nur dass hier ein wichtiges Kapitel albanische Geschichte geschrieben wurde. Ismail Kadare berichtet in seinem Roman „Die Festung“ darüber, wie der Fürst der Region, Skanderbeg, es mit seiner Guerilla-Taktik schaffte, die auf dem Balkan vorrückenden Türken zum Stehen zu bringen – in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Erst nach seinem Tod wurde das heutige Nordalbanien türkisch. Der Weg zurück führt durch den neugestalteten Basar, in dem es alles gibt, was das Herz der meist albanischen Touristen höherschlagen läßt, auch eine Teppichweberei, viele Antiquitäten, beim längeren Suchen wäre sicherlich das eine oder andere Schnäppchen dabei – so bleibt es bei einem kleinen Feuerzeug aus Messing …

Shkodra, schon beinahe an der montenegrinischen Grenze, gilt als die aufmüpfigste Stadt des Landes – mit vielen Literaten – und Stadtvierteln, die an Venedig denken lassen. Tatsächlich stand die Stadt lange unter deren Herrschaft, die Festung stellt ein beredtes Zeugnis aus. Der Blick schweift weit über den Shkodra-See bis in die „Nordalbanischen Alpen“, die abgeschiedenste Region des Landes. Heute soll sie ein Paradies für Bergsteiger und Wanderer sein, die die Einsamkeit und das Abenteuer suchen.
Wir sagen Albanien Adieu und hängen noch zwei Tage in Montenegro und Dubrovnik an. In gewisser Weise ein Schock: die Bucht und die Stadt Kotor sind von Touristen überlaufen – es hatte gerade ein großes Kreuzfahrtschiff angelegt. Und in Dubrovnik ergeht es uns nicht anders. Schön und sehenswert sind beide, auch die jeweiligen Küstenlandschaften. Wir aber beginnen Albanien nachzutrauern, wo wir oft die einzigen Besucher der Sehenswürdigkeiten waren, wo wir nicht Touristen unter vielen waren, sondern uns als Gäste fühlen konnten, die die Gastfreundschaft der Albaner genießen durften. Es wird daher nicht die letzte Reise nach dort gewesen sein – wir kommen wieder.