
Der Eintritt in das Land ist ein wenig mühsamer als wir das in Europa gewohnt sind. Wir rollen unsere Koffer von Armenien aus durch das Niemandsland zum Einreise-Terminal Georgiens. Es ist heiß, viel heißer als im Vorjahr. Aber die Abfertigung ist freundlich und professionell. Schnell sind die Formalitäten erledigt und wir werden von unserer Reiseleiterin in Empfang genommen. Sie ist – wie sich herausstellt – Künstlerin, Themen für Gespräche auch jenseits der Touristik gibt es genug. Sie wird uns in den nächsten 5 Tagen Georgien näher bringen. Doch zunächst sehen wir zu, dass wir in das relativ nahe gelegene Tbilissi – Tiflis – kommen. Dort haben wir in einer ruhigen Seitenstraße der quirligen Altstadt Quartier bezogen.
Mit der Funiculaire geht es dann hoch auf den Hausberg von Tiflis. Von hier aus hat man einen phantastischen Blick auf die abendliche Stadt. Und erhält gleich eine gute Einführung in die Vielfalt georgischer Küche. Wir lernen schnell: man kann von den vielen Gerichten eigentlich nur probieren. Die Schüsseln werden nie leer werden, denn dann hätte der Gastgeber versagt. Also probieren wir uns durch Suppen wie grünen Borsch, durch vielfältige Salate, durch Kachapuri (käsegefüllte Teigtaschen), durch Chinkali (Teigtaschen mit Hackfleischfüllung) durch, kommen ins Gespräch, genießen den lauen Abend.

Am nächsten Tag geht es schon weiter: zunächst lernen wir Mshkheta kennen, die alte Hauptstadt Georgiens – und noch immer das eigentliche religiöse Zentrum des Landes. Oben am Berg über der Stadt soll die Nationalheilige Nino ein erstes Kreuz aufgestellt haben – sie soll Anfang des 4. Jahrhunderts aus Kapadokien ins Land gekommen sein. Die Kreuzkirche hat sich zu einem richtigen Zentrum des georgischen Tourismus entwickelt: eine Pilgerstätte mit zahlreichen Buden. Noch ausgeprägter ist das dann in der Stadt Mshkheta selbst mit der Kathedrale. Ganz anders als die nicht ausgemalten Kirchen Armeniens sind die Kirchenschiffe voller Fresken. Manche mögen lokale Szenen wie den Bau dieser Kirche darstellen, vieles ist aber mit etwas Bibelfestigkeit leicht nachzuvollziehen. Und noch ein Unterschied fällt zu Armenien auf: die Kirchenräume sind durch Ikonostasen getrennt: wir sind in der orthodoxen Welt angekommen.

Und dann geht es in den Großen Kaukasus. Über einen langgezogenen Pass gelangen wir schließlich nach Stepanzminda zu Füssen des höchsten Berges Georgiens, des 5.047 m hohen Kazbegi. Die Lage ist traumhaft – wie das Hotel, von dessen Zimmern aus wir direkt auf den Berg sehen können. Noch präsentiert er sich in Wolken, doch man verspricht uns, dass sich das bis zum nächsten Morgen ändern werde. Und so beschließen einige aus der Gruppe, sich doch zunächst mit Fussball zu beschäftigen. Die WM in Russland läuft und für Deutschland ergibt sich eine letzte Chance zum Weiterkommen gegen Südkorea. Breiten wir den Mantel des Vergessens über das Ergebnis – wir wurden von den Georgiern jedenfalls zutiefst bemitleidet. Und hatten am nächsten Morgen sozusagen als Trost zunächst einen traumhaften Blick auf den Kazbegi, bevor wir uns dann in Jeeps aufmachten zum Kloster Gergeti oberhalb des Tals. Jetzt im Juni ein traumhaftes Ambiente, mit blühenden Wiesen. Im Winter muss es hier sehr abgeschieden sein, tief verschneit, die wenigen Mönche dort oben müssen gut Vorräte anlegen. Einen Eindruck vermittelt die Erzählung „Ein Held unserer Zeit“ von Mikhail Lermontov.

Auf dem Rückweg nach Tiflis eine Reihe kurzer Stops: ein kleiner Soldatenfriedhof – hier wurden deutsche Kriegsgefangene bestattet. Wir halten einen Moment inne, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts führt weit nach Osten, aber bis hierher kam die Wehrmacht nicht. Mitten in die Bergwelt gesetzt: das Denkmal der georgisch-russischen Freundschaft aus der Sowjetzeit: die Verherrlichung einer nie so gewesenen Vergangenheit in Mosaiken des Sozialistischen Realismus. Geschmacksache. Dann doch lieber ein eigenwilliges Naturschauspiel: über freigespülte Felsen, die ganz mit einer eisenorange gefärbten Kalkschicht bedeckt sind, fließt mineralisches Wasser den Hang hinunter. Eine ideale Stelle, um die heissen Füße und Arme zu kühlen. Schließlich doch noch eine Kirche: Ananuri. Eigentlich eine Festung, um den wichtigen Kaukasus-Übergang zu kontrollieren. Wieder typische Steinmetzarbeiten, Fresken, traumhafte Lage auf einer Halbinsel an einem See. An der Kirchenwand: georgische Schriftzeichen, die sich uns leider gar nicht erschließen. Dann geht es zurück nach Tiflis, das Hotel kennen wir ja schon. Das Abendessen ist delikat, der Schlaf nach einem guten Schluck georgischen Weins besonders gut.

Der Besuch in Gori ist ein wenig „schwierig“. Bereits vom Obergeschoss des lokalen Supermarkts lächelt freundlich der größte Sohn der Stadt: Stalin, damals noch Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili. Sein Geburtshaus wurde zur Gedenkstätte, sein Eisenbahnwagon wurde daneben platziert. Im Museum verschlägt es uns den Atem: Wir können uns einfach nicht vorstellen, dass man unserem „Größten Feldherrn aller Zeiten“ ein solches Museum widmen könnte. Stalin in allen Lebensabschnitten, in allen Posen, eine Sammlung seiner Staatsgeschenke, Bilder mit Kindern, freundlich lächelnd, eine Nachbildung seines Arbeitszimmers. Schließlich bricht es aus uns heraus: der brutale Stalin, Millionen von Toten, Sibirien, Säuberungen – alles nicht gewesen? Ein wenig verlegen führt man uns in eine kleine Ecke im Untergeschoss: dort finden sich die Namen einiger Opfer der Säuberungen und die Nachbildung einer Zelle. Ja, es habe 800.000 Opfer gegeben, aber … und dann ging es zurück in die Stalin-Show. Geschichtaufarbeitung ist für uns anders…
Dann doch lieber die nahe Höhlenstadt Uplisziche — leider bei hohen Aussentemperaturen. Jede Höhle, jeder Schatten ist willkommen. Man versteht, warum sich die Menschen in die Felsen eingruben. Der Stein ist relativ weich, daher muss die Imagination die Verluste durch Erosion ersetzen. Die Reste der königlichen Residenz lassen erahnen, was hier einst stand.

Der Abend zurück in Tiflis hat eine Überraschung parat: ein neues Top-Restaurant auf der Rückseite des Nationalmuseums überzeugt mit einer modernen georgischen Küche mit besonders guten Weinen. Davor hatten wir Gelegenheit, mit der Georgisch-Orthodoxen Kirche ins Gespräch zu kommen: in deren Akademie in Tiflis, wo man sich auch mit Musik und Ikonenschreiben befasst, im wesentlichen aber Begegnungsstätte mit einer wunderschön ausgemalten Kapelle. Und: man spricht nicht nur über Georgien und die kirchliche Situation dort – man will auch viel von uns wissen: wie läuft das mit den Flüchtlingen, wie funktioniert die Integration – man hat schließlich Erfahrungen mit muslimischen Nachbarn. Sind wir ehrlich: wir können hier einiges voneinander lernen.
Und natürlich spielt auch in Georgien Politik eine große Rolle. Die Abspaltung von Abchasien und Südossetien führte zum Krieg mit Russland, dem man mit einer Art Hassliebe verbunden bleibt – oder sollte man sagen: verbleiben muss. Russland bleibt wichtiger Wirtschaftspartner, die alte Heeresstrasse am Kazbeg vorbei nach Wladikaukas („Beherrsche den Kaukasus“ in Russland) ist wichtige Verbindungsstrasse. Andererseits stützt Russland die Separatisten und möchte um jeden Preis verhindern, dass sich Georgien der NATO und der EU annähert. Ein Assoziationsabkommen mit der EU gibt es bereits. Ein weiteres Beispiel für das Divide et Impera Moskaus. Wir lassen uns die politische Situation in Georgien von einem MP erläutern. Er gehört zu einer kleinen, sozialdemokratisch orientierten Gruppe innerhalb des regierenden „Georgian Dream“. Starker Mann der georgischen Politik ist der Oligarch Iwanschwili, der in einem neuerbauten Glaspalast oberhalb von Tiflis residiert und von dort die Fäden zieht. Ist er der „gute Oligarch“, den viele in ihm sehen? Er soll immerhin 95 % der Baukosten der neuen Kathedrale an zentraler Stelle in Tiflis übernommen haben.

Der letzte volle Tag in Georgien wird noch einmal besonders warm: es geht in die Weinregion Kachetien. Nach einem kurzen Stop im Kloster der Heiligen Nino mit deren Grab geht es nach Sighnaghi, einem netten, traditionellen Bergstädtchen. Von hier nahm das Revival des traditionellen georgischen Weinbaus seinen Anfang. Georgien beansprucht, die Geburtsstätte des Weinbaus vor etwa 7.000 Jahren gewesen zu sein. Traditionell werden die Weine in Amphoren ausgebaut (Qvevri-Weine). Gerade die Weißweine sind stärker gefärbt (à orange Weine) und schmecken für europäische Zungen ein wenig firn. Zu Sowjetzeiten versorgten Georgien und Moldawien die Union mit billigen, auf Masse getrimmten Weinen. Nach Wende (und Krieg mit Russland) sind die Mengen deutlich zurückgegangen und man legt Wert auf Qualität, die bei den Weinproben gut belegt wurde.
Ein Besuch im Landhaus der georgischen Familie von Alexander Chavchavadze in Zinandali erzählt viel über Georgien zu Zarenzeiten: der Hausherr ist General in der russischen Armee, gut vernetzt mit der georgischen wie russischen Aristokratie. Dennoch kann er nicht verhindern, dass schwadronierende Banden aus dem nahen Tscheschenien seine Schwiegertochter entführen (und sein Landhaus abbrennen), um Lösegeld zu erpressen, das er schließlich mit viel Aufwand auftreibt. Wir befinden uns an der Nahtstelle zum Islam und die Nordkaukasischen Bergvölker waren immer schwierig…

Entsprechend befestigt ist das Kloster Alaveri mit seiner Klosterkirche mit einer geradezu spätgotisch anmutenden Bauhöhe. Das Kloster ist noch heute aktiv – leider sind die Ausmalungen wie auch an anderen Stellen bereits in zaristischer Zeit abgeschlagen oder übertüncht worden. Alles georgische wurde offensichlich schon damals kritisch beäugt. In Greni wird das mittelalterliche Miteinander von Kirche und regierender Dynastie besonders deutlich: die inzwischen (lokal) heilig gesprochene Königin Ketevan wurde von den Persern entführt und in Isfahan zu Tode gefoltert. Auf dem befestigten Berg stehen Kirche und Burg ganz nahe beieinander.

Am Abschluss der Reise steht ein Besuch des Nationalmuseums mit seiner Schatzkammer an, das u. a. dem Goldenen Vlies, den Goldfunden der Kolchis im Westen Georgiens, gewidmet ist. In der Kathedrale wird feierlicher Sonntagsgottesdienst gefeiert: mit Einzug des betagten, sehr beliebten Patriarchen. Und schließlich wollen wir uns noch ein Bild von den künstlerischen Fähigkeiten unserer Reiseleiterin machen: eine kleine Ausstellung in einem Hotel stellt ihre Fähigkeiten auch in diesem Bereich unter Beweis. Der Weg zum Flughafen ist kurz. Er reicht gerade für ein kurzes Resumee einer Reise, auf der wir viel über Georgien gelernt haben. Vielleicht müssen wir ein anderes Mal mehr Zeit mitbringen – der Westen soll auch sehr schön sein, und dann gibt es noch Swanetien mit seinen Türmen. Und auch das Skilaufen im Kaukasus soll etwas besonderes sein. Wir werden wiederkommen.