
Dumpf klingen die Trommeln. Es ist dunkel – kurz vor Mitternacht. Dann ein Klagegesang, anschwellend, und schließlich im Schluchzen endend. Es ist Ashura, wir sind in Täbris, im Nordwesten des Iran. Ashura, das ist der zehnte Tag des Trauermonats Moharram, an dem die Schiiten des Martyriums ihres dritten Imams Hussein gedenken. Der unterlag am Tag von Ashura im Jahr 680 mit seiner kleinen Truppe von 72 Gefährten im Ort Kerbala im heutigen Irak seinen muslimischen Gegnern – beinahe die gesamte Truppe wurde dabei niedergemacht.

Rund um diesen hohen schiitischen Feiertag wird das Geschehen nachgespielt – ähnlich unseren Passionsspielen: in Rot die Truppen der Sunna unter ihrem Kalifen Yazid, in Grün der Enkel des Propheten Mohammed, Hussein, mit seinen Gefährten. Und da es sich nicht geziemt, Hussein bildlich zu zeigen, sind seine Augen durch Fransen verdeckt. Lautstark wird die Geschichte erzählt. Und man sieht den Darstellern an, dass sie sich in die Kampfszenen geradezu hineinsteigern. Nach etwa zwei Stunden ist die ungleiche Schlacht geschlagen, sind die Nachkommen des Propheten besiegt, bis auf einen – damals kranken – Sohn Husseins tot. Aber: die Dynastie lebt fort bis zum 12. Imam, dem Mahdi, der im Verborgenen lebt und am Tag des Jüngsten Gerichts wiederkehren wird. Der oberste geistige Führer der Schia beansprucht, ihn auf Erden zu vertreten – Tradition, Geschichtsbewusstsein und heutige Politik gehen Hand in Hand.

Das Drama von Kerbala setzte einen Schlussstrich unter die fast fünfzigjährige Auseinandersetzung um die Nachfolge des Propheten Mohammed – sollte es der „beste Mann“ sein, Abu Bakr, der Tradition (Sunna) verpflichtet – oder hatte der Prophet seinen Cousin und Schwiegersohn Ali als Nachfolger eingesetzt, wie die Partei Alis, die Schia, es sieht? Die Muslime der Stadt Kufa hatten Alis Sohn Hussein aus Medina gerufen, dem der Ruf voranging, weise und gerecht zu sein, den sie als rechtmäßigen Kalifen anerkennen wollten. Das resolute Auftreten des Kalifen und seines Statthalters haben aber dann wohl verhindert, dass die Krieger aus Kufa Hussein zu Hilfe eilten. Nach der Schlacht von Kerbala ist man sich dort der Schande bewusst geworden, hat sich schwere Vorwürfe gemacht, die darin endeten, dass ein Zug büßender Menschen von Kufa dem Heer des Kalifen entgegen zog und den Märtyrertod suchte. Das Trauern um Hussein, die Buße für das Versagen prägt seitdem die Schia, die übrigens erst im 16. Jahrhundert Staatsreligion des Iran wurde.

Dieser Büßerzug mag Vorbild sein für die Prozessionen, die an Tasua (dem 9. Tag) und Ashura an vielen Orten stattfinden. Unter Trommelwirbeln rezitiert ein Vorbeter, die Männer schlagen sich wuchtig im Takt auf die Brust. Andere haben Geißeln, Metallketten an einem Holzgriff, und schlagen sich damit – symbolisch – im Rhythmus auf die Schultern – einmal rechts, dann links, dann wieder rechts. Früher soll dies blutig gewesen sein, heute mag es einige blaue Flecken hinterlassen. Andere tragen Schwerter, oft auch ähnlich geformte Stöcke, mit deren Breitseite man auf die Stirn schlägt. Dazu der rhythmische Aufschrei als Antwort auf den Vorbeter. Die Prozessionen ziehen sich über Stunden. Als Wahrzeichen der einzelnen Dörfer oder Bruderschaften werden schwere Eisengestelle voran getragen, mit Vogelmotiven und Blumen geschmückt. So schwer, dass der einzelne sie nur kurze Strecken tragen kann. Eine Ehre und eine Tortur. In der Nacht werden Feuertöpfe daran gehängt – beeindruckende Bilder.

Schwarz ist die Trauerfarbe, alle sind schwarz gekleidet, auch die Frauen, die vom Straßenrand die Prozessionen begleiten, sich ihnen am Ende zum Teil anschließen. Und auch als Gast und Reisender sollte man sich daran halten.
So trauerbetont die Feierlichkeiten sind – sie sind auch gemeinschaftsstiftend: Man geht Hand in Hand – arm und reich. Und: die Reichen stiften die gemeinsame Mahlzeit. Schafe werden geschlachtet und wandern in gemeinsame Suppentöpfe, aus denen jeder seine Schüssel erhält – auch und gerade die Gäste. Unser Gastgeber soll an diesen Tagen 5000 Gäste – gratis – bewirtet haben…

Am Abend gibt es kleinere Trauerfeierlichkeiten, ähnlich unseren Trauergottesdiensten, mit Klagegesängen, mit einer Predigt des Imam über das Martyrium Husseins. Und: man stellt Kerzen auf, manchmal rund um kleine Tannengestecke, ein wenig wie unsere Grab- und Adventsgestecke, hält eine Weile inne, führt die Kinder an diesen Ritus heran.

Auch als Nicht-Schiit ist man zu den Feierlichkeiten herzlich eingeladen, wird mit Getränken und besonderem Gebäck bewirtet, wird ein wenig Teil dieser Gemeinschaft. Wie man überhaupt im Iran als Gast, nicht als Fremdling behandelt wird – im von Touristen weniger besuchten Nordwesten mehr noch als entlang der „klassischen Route“.
Wir waren von diesen Tagen sehr beeindruckt, denen sich ein Besuch der Kunstschätze und der beeindruckenden Landschaft der Region anschloss: mit dem Kaspischen Meer, dem Elburs-Gebirge, mit Hamadan, dem iranischen Kurdistan und schließlich dem christlich-armenischen Erbe. Eine Reise, die wir sicherlich wiederholen werden.