Rumänien — Ukraine — Moldawien

Moldawien – Molwanien? Wo liegt denn das? Kann man nach dort guten Gewissens fahren? Was macht man denn da? Ist das gefährlich? Und wie sind denn da die Hotels, das Essen, die Getränke? Um es klarzustellen: Es geht um Moldawien. Molwanien ist ein Fake, ein hoch ironisch gemeinter Reiseführer in ein imaginäres Land, in das man nun wirklich nicht reisen möchte. Aber schon die Karte dieses imaginären Lands zeigt, dass es sich dabei nicht um Moldawien handeln kann. Moldawien liegt zwischen Rumänien und der Ukraine, beinahe am Schwarzen Meer. Es war einst eine eigene Moldawische Sowjetrepublik und ist seit 1991 selbständig. Man spricht rumänisch mit einem leicht eigenen Akzent. Es ist heute nicht mehr gefährlich – das war es mal unmittelbar nach der Selbständigkeit, doch davon später mehr. Es gibt gute Hotels, das Essen ist hervorragend – zumindest das, was wir gegessen haben, in Hotels und bei Familien. Und die Getränke: neben den inzwischen sehr guten moldawischen Weinen gibt es auch ein ordentliches Bier und gute Weinbrände als Digestiv. Also ein Land, in dem es sich gut aushalten lässt – und auch die Nachbarschaft, in Rumänien und in der Ukraine, hat einiges zu bieten.
Die Moldau-Klöster in Rumänien

Doch beginnen wir von vorne: wir beginnen unsere Reise in der Moldau genannten Region Rumäniens – der Name ist hier kein Zufall, sondern gemeinsame Wurzel. Im 15. Jahrhundert schaffte es der Fürst der Moldau, Stefan der Große, geschickt zwischen den Großmächten seiner Zeit zu lavieren: den Polen im Norden, den Tartaren im Osten und den Türken im Süden. Dabei ließen sich kriegerische Auseinandersetzungen nicht vermeiden, aber die meisten der Schlachten konnte Stefan gewinnen – und für jede — heißt es — stiftete er ein Kloster. Und so verdanken wir ihm, seinem Großvater und seinem Sohn die so wunderschön ausgemalten Moldau-Klöster, ein erstes Ziel unserer Reise. Und wir beginnen dort gleich mit einem Wasserfall: Schwester Tatjana unterrichtete einst als Lehrerin Schüler in deutscher Sprache, dann wurde sie Nonne in Moldovita und vermittelt interessierten Gästen ihre manchmal ein wenig eigenwillige theologische Interpretation der Außenfresken ihres Klosters. Beeindruckend: ihre Familiengeschichte Jesu anhand des Stammbaum Jesse und die Belagerung Konstantinopels, das in der Darstellung eine verblüffende Ähnlichkeit mit der näher gelegenen Residenzstadt Suceava aufweist. Eine zeitgemäße Theologie, die durchaus zu den bildlichen Darstellungen mit der Kleidung des 15. Jahrhunderts passt. Sucevita und natürlich Voronet schliessen sich an – das dortige Jüngste Gericht an der Westfassade beeindruckt mich immer besonders – diese Blautöne! Es stand bei einer anderen Reise Pate, als es um einen Vergleich der Jenseitsvorstellungen in christlicher und pharaonischer Perspektive bei einer Kreuzfahrt auf dem Nil ging. Und dazwischen werden wir in die Kunst des Eierbemalens eingeführt – ich wünschte meine Hände wären so ruhig.
Czernowitz — Khotyn — Kamjanetz Podolski

Am nächsten Morgen ist Geduld gefragt: für uns inzwischen recht ungewohnt, verbringen wir beinahe anderthalb Stunden an der Grenze zur Ukraine, eine Zeit, während der nicht sehr viel zu passieren scheint – aber vielleicht haben wir nicht richtig hingeschaut, denn wir nutzen diese Zeit, um mehr über unser nächstes Ziel, die Ukraine, zu erfahren. Schließlich dürfen wir weiter nach Czernowitz, in die ukrainische Nordbukovina. Czernowitz spielt in der deutschen Literatur eine herausragende Rolle, denn hier entwickelte das in der k.u.k.-Monarchie von Restriktionen befreite Judentum deutschsprachige Poesie vom Feinsten. Paul Celan und Rose Ausländer stehen für eine deutschsprachige Tradition, die auch nach dem Ersten Weltkrieg unter rumänischer Herrschaft nicht unterging, sondern im Gegenteil eine Blüte erreichte. Umso tragischer, was dort dann geschah: im Hitler-Stalin-Pakt kam Czernowitz zur Sowjetunion, die Probleme mit den Intellektuellen auf ihre Weise lösten. 1941 rückten rumänische Truppen und die Wehrmacht ein – für eine Stadt mit großer jüdischer Bevölkerung eine Katastrophe. Viele Schicksale endeten auf den öden, winterlichen Feldern östlich des Dnjestr, u. a. das der jungen jüdischen Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger. Rose Ausländer und Paul Celan überlebten, seine Todesfuge ist zutiefst verstörend, ist aber wohl wirklich der richtige Text zu einer kurzen Gedenkminute an der jüdischen Gedenkstätte in der Nähe der Herrengasse. Die Herrengasse könnte in ähnlicher Form auch an anderer Stelle der k.u.k.-Monarchie gestanden haben, so typisch ist sie – mit Wiener Kaffeehaus, vielen kleinen Restaurants, die am Samstag Abend gut gefüllt sind. Eine Besonderheit: die Nationenhäuser, in denen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen ihre Kultur und Traditionen hoch hielten. Weltkulturerbe ist gar nicht die Literatur (die es ja als immaterielles durchaus sein könnte und sollte), sondern der ehemalige Metropolitenpalast, heute die Universität aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. An diesem Tag die Kulisse für zahlreiche Hochzeitspaare. Natürlich gab es den Blick aufs Opernhaus, in eine der Synagogen, auf den jüdischen Friedhof mit den Gräbern von Elieser Steinbarg, dem jiddischen Fabeldichter, und von Herrn Zwilling und Frau Zuckermann aus dem Dokumentarfilm von Volker Koepp. Ein besonderes Highlight: ein Briefing zur aktuellen politischen Situation in der Ukraine mit der Möglichkeit, die Fragen zu stellen, die uns beschäftigen. Es zeigte, dass die Ukraine noch einen langen Weg vor sich hat bis zu einer demokratischen Gesellschaft im westlichen Sinne. Noch spielt persönlicher Ehrgeiz und Korruption eine viel zu große Rolle – Parteien sind auf Personen, nicht auf Programme fixiert. Und daran haben auch die orangene Revolution und der Maidan nichts Grundlegendes geändert. Ob es einer weiteren Revolution durch die nächste Generation bedarf?


Bei Khotin begegnen wir wieder Stefan dem Großen – eine beeindruckende Burg direkt am Dnjestr, Schauplatz einer Entscheidungsschlacht der Polen und Kosaken gegen die Türken, die letztlich deren weitere Ausdehnung in Richtung Polen verhinderte. Eine nächste Burg – Kamjanetz Podolski – ist nicht weniger malerisch, insbesondere wenn sie nachts angestrahlt wird. Wir genießen hier die mittelalterliche Küche, neben einem Kesselgulasch hervorragend gegrilltes Schweinefleisch und dazu dank unseres umtriebigen Reiseleiters exzellenter rumänischer Wein und zum Verdauen eine Palinka. So gestärkt ging es in die Wehrgänge und anschließend zur griechisch-katholischen Kirche (natürlich mit Statue von Papst Johannes Paul II.). Die Besonderheit: sie war zwischenzeitlich in türkischer Zeit Moschee – die Spitze des Minaretts wurde später abgetragen und eine vergoldete Madonnenstatue darauf gestellt.
Moldawien

Am nächsten Morgen geht es wieder über eine Grenze – mit ähnlichem Zeitaufwand – in das benachbarte Moldawien. Moldawien ist eines der Armenhäuser Europas – und doch: man merkt nicht viel davon, denn wir werden ausgiebig bewirtet. Ein erster Halt: ein neu-gegründetes orthodoxes Kloster – die Ausmalungen der Kirche sind gerade erst im Entstehen. Das im Umfeld der Kirche stehende ehemalige Erholungsheim macht einen tristen Eindruck – umso beeindruckender der Enthusiasmus des Mönchs, der uns führte und dessen Stimme uns in Erinnerung blieb. Zum Mittagessen machen wir Halt an einer kleinen Dorfkirche: der Pfarrer und seine Familie empfangen uns herzlich, man zeigt uns die Kirche – und dann nehmen wir im Pfarrgarten Platz zu einem gelungenen Mahl. Schließlich geht es weiter nach Balti, die zweitgrößte Stadt des Landes. Wir halten vor der Weinbrennerei, lassen uns in die Herstellung einführen und verkosten dann Brände unterschiedlichen Alters. Gut, dass es dazwischen Häppchen gibt…
Moldawien fällt es sichtlich schwer, sein kulturelles Erbe angemessen instand zu setzen. Wir erleben dies an einem Herrenhaus von der vorletzten Jahrhundertwende. Man ist stolz auf das Erreichte, hat hochtrabende Pläne, doch es wird schwer sein, sie als Gemeinde zu realisieren. Man fragt sich, ob ein wohlhabender Investor hier nicht nützlich sein könnte – aber was wäre der Preis? Der Park mit seinem alten Baumbestand hätte durchaus Potential. Dann Themenwechsel: in Soroca leben relativ viele Zigeuner (ja: man darf sie nach Rücksprache wirklich so nennen, sie bezeichnen sich selbst so). Wir sprechen mit dem Oberhaupt der Zigeuner von Moldawien, erfahren viel über die Traditionen, wie die beeindruckenden Häuser (z. B. im Stil des Capitols in Washington) entstehen, reden über die politische Rolle als Minderheit, über Pläne für eine angemessene Repräsentation. Und wir sprechen mit der Dame des Hauses über die Rolle der Frau.

Und wieder Stefan der Große – diesmal als Bauherr der Burg von Soroca. Der lokale Guide berichtet von seiner sechshundertjährigen Erfahrung in diesem frisch renovierten Bau. Es macht einfach Spaß zuzuhören und ist zudem ausgesprochen lehrreich. Am Abend dann noch ein kurzer Besuch in einem kleinen Kloster, das das Zeug zum UNESCO-Weltkulturerbe hätte: Alt-Orhei. Die Mönche wollen sich aber nicht in ihre Gestaltungsrechte der kleinen Höhlenkirche reinreden lassen – und so hat bis heute Moldawien nur Teil an einem Weltkulturerbe: dem Struwe-Bogen von Hammerfest bis Odessa, ein Projekt der Meridian-Vermessung im 19. Jahrhundert. Nach einem familiären Abendessen bei Orhei übernachten wir in der Hauptstadt Moldawiens, in Chisinau.

Chisinau machten die Russen zur Hauptstadt, nachdem man das von Ihnen Bessarabien benannte Gebiet von den Türken übernommen hatte. Die Stadt entwickelte sich langsam, war zwischenzeitlich Verbannungsort des aufmüpfigen Dichters Puschkin, entwickelte sich zur typisch-russischen Provinzstadt. Zwischenzeitlich rumänisch wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der Sowjetunion. Das Land avancierte zu einem der beiden Weinproduzenten des Imperiums. Das staatliche Weingut Cricovar mit seinen ausgedehnten unterirdischen Weinkellern vermittelt noch heute eine Vorstellung, wie viel Wein hier eingelagert werden konnte. Man fährt mit Elektrowägelchen bis tief in den Berg, wo der Champagner abgefüllt wird. Eine Weinprobe vermittelt einen ersten Eindruck der Qualität moldawischer Weine. Dann geht es weiter zu einer Grenze, die es eigentlich gar nicht gibt.
Transnistrien — eine Reise in die Vergangenheit
Stalin hatte die Idee, ein Stückchen Ukraine der neugegründeten Moldawischen SSR zu übergeben – um dafür den Schwarzmeerzugang abzuschneiden und zusammen mit einem Stück Nordbukovina an die Ukrainische SSR zu geben. Das war aus damaliger Sicht Linke-Tasche-Rechte-Tasche. Mit langfristig katastrophalen Folgen. Denn dieser Teil war russisch-sprachig und passte nicht zum ansonsten eher rumänischen Moldawien. Dies führte zum Bruch als Folge der Unabhängigkeitserklärung Moldawiens, denn dieser Transnistrien genannte Landstrich sieht sich als Teil Russlands. Es kommt zum Krieg, der nur dadurch beendet werden konnte, dass eine russische Armee, die XIV., dort stationiert wurde. Nun stehen in Transnistrien weiter Lenin-Statuen, man feiert den 9. Mai mit einer Militärparade im Stechschritt, hat zahlreiche Ehrenfriedhöfe für die im Krieg gegen Moldawien Gefallenen — und ist dennoch auf das Wohlwollen Moldawiens angewiesen, denn die Grenze zur Ukraine ist wegen deren Konflikt mit Russland versperrt. Es gibt nur zwei „Botschaften“ in Tiraspol, der Hauptstadt, von Abchasien und Südossetien, den nicht anerkannten abtrünnigen Provinzen Georgiens. Und da Transnistrien nicht einmal von Russland anerkannt ist (was brächte es Putin?), wird für die Reise nach Russland ein Visum benötigt. Der Trost: im Sinne des Einheitsgedankens stellt Moldawien moldawische Pässe aus, und die berechtigen zur visafreien Einreise nach Russland, da Moldawien ehemaliges GUS-Mitglied ist… Verkehrte Welt!

Und dann eine Lehrstunde in Sachen eines Luxusguts: Kaviar. Es ist beeindruckend, die Zucht der Störe zu sehen, etwas über das KnowHow zu erfahren, das es ermöglicht das Überleben dieser Spezies zu sichern und trotzdem Kaviar bereitzustellen. Und schließlich eine kleine Kaviarprobe – die Unterschiede zwischen den Typen sind schon bemerkenswert.
Am Abend dann eine besondere Weinprobe. Ein hochdekorierter Sommelier führt uns in die moldawischen Weine ein – und zeigt uns den erheblichen Einfluss der Glasform auf das Geschmackserlebnis. Wir werden einige Änderungen bei unseren Weingläsern daheim vornehmen müssen. Wein und gute Küche steht am nächsten Tag nochmals auf der Tagesordnung: eine junge Familie hat im Ausland Geld gemacht und in ein Weingut im Süden des Landes investiert: Edelstahltanks vom Feinsten, alle Made in Moldavia, sorgen für gute Fermentationsbedingungen – sowohl für Weiß‑, Rose- wie Rotweine.
Odessa

photo: LCTours
Dann ein letzter Grenzübertritt zu Lande – es geht nach Odessa, in die ukrainische Hafenstadt am Schwarzen Meer. Viel in dieser Stadt erinnert an die Blütezeit im späten 19. Jahrhundert. Am wohl bekanntesten: die Treppe die man nach Richelieu (einem Nachfahren des Kardinals, der im 19. Jh. Bürgermeister war) oder nach Potemkin benennt, dem Favoriten von Katharina II., der die südliche Ukraine als „Neu-Russland“ für sie von den Türken eroberte. Hier spielt einer der berühmtesten frühen sowjetischen Filme: Panzerkreuzer Potemkin von Sergej Eijsensteijn – über die Revolution von 1905. Der Hafen der Stadt ist auffallend leer – früher legten zahlreiche Kreuzfahrtschiffe an, die heute ausbleiben – und es gibt nur noch eine regelmäßige Schiffsverbindung wohl drei Mal die Woche nach Istanbul. Weiter draußen erinnert die Küste mehr an die spanische: mit Betonburgen, Kasinos und einem sehr vollen Strand – es ist schließlich Samstag. Ein wenig weiter draußen soll es ruhiger zugehen. Auch in der Stadt ist einiges los: man flaniert entlang der Derybaviska, trinkt einen Kaffee im idyllischen Park neben dem Opernhaus – und bewundert schließlich die Stars auf dem Roten Teppich, die den Abschluss des Filmfestivals in der Oper feiern. Unseren letzten Abend verbringen wir im Grünen: Datscha nennt sich unser Restaurant, das idyllisch im Grünen liegt. Hier tafeln zahlreiche ukrainische Familien mit ihren Kindern. Hier spielt ein Streichquartett junger Damen Melodien aus Klassik, Klezmer und Volksmusik. Ein wunderbarer Ausklang, auch um uns von unseren Begleitern zu verabschieden, die sich um uns verdient gemacht haben.

Am nächsten Morgen ein letzter Programmpunkt: die Oper. Sie gilt als die Schönste der Welt, habe doch selbst Semper gesagt, dass man sein Meisterwerk in Dresden noch toppen könne. Und das hätte man geschafft. Sie ist wirklich gelungen, ein Meisterwerk von Fellner und Helmer aus Wien, die so viele Opernhäuser im Osten gebaut haben. Das nächste Mal müssen wir zu einer Jahreszeit kommen, in der sie bespielt wird. Und dieses nächste Mal wird es sicherlich bald geben …
Eine nächste Reise von Lemberg über Czernowitz, dieMoldau-Klöster, Chisinau nach Odessa wird vom 7. bis 18. September 2019 stattfinden.