
Schon im Landeanflug auf Tunis wird man auf die historische Bedeutung dieser Region aufmerksam gemacht: der Flughafen von Tunis heisst offiziell: Aéroport International de Tunis-Carthage. „Ceterum censeo — Carthaginem esse delendam“ geht es durch den Kopf, die Hartnäckigkeit, mit der Cato den Erzfeind der Römer immer wieder bei seinen Senatoren-Kollegen in Erinnerung brachte. Und das wirkte, hatte doch der karthagische Feldherr Hannibal Rom in ernste Existenznöte gebracht („Hannibal ante portas!“), sie vor der eigenen Haustür in Italien, am Trasimenischen See und bei Cannae in Apulien, vernichtend geschlagen – und dennoch waren seine Siege nicht nachhaltig. Anscheinend fühlte sich Karthago zu sicher, dank seiner wirtschaftlichen Macht, und unterschätzte den Machtanspruch Roms. Und so kam es, wie es Senator Cato sich wünschte: am Ende des Dritten Punischen Kriegs wurde Karthago 146 v. Chr. unter Scipio erobert und zerstört. Aber noch heute lassen die Ruinen des Kriegshafens erahnen, welch mächtige Flotte hier einst stationiert war. Ansonsten erinnert wenig im heutigen Karthago an die alten Karthager: einige Tempelreste, einige Stelen – und überhaupt ist wenig bekannt über die religiösen Riten der Karthager. Ganz in der Nähe des Kriegshafens hatte sich Gustave Flaubert 1858 einquartiert – hier arbeitete er an seinem Roman „Salambo“, der im Karthago des dritten vorchristlichen Jahrhunderts angesiedelt ist (Salambo ist die fiktive Schwester von Hannibal).

Von Karthagos Burgberg Byrsa hat man den besten Blick auf das alte Hafenviertel. Hier war auch – 100 Jahre nach der Zerstörung – das römische über dem punischen Karthago entstanden, mit Kapitol, Bibliothek,Tempeln, später auch Kirchen. In Karthago studierte und lehrte Augustinus, der spätere Kirchenlehrer und Bischof von Hippo (das kurz hinter der Grenze in Algerien liegt). Im nahe gelegenen Amphitheater erlitten Perpetua und Felicitas 203 das Martyrium – heute steht in dem relativ gut erhaltenen Areal eine Kapelle.

Ein wenig weiter nördlich, auf einem Berg direkt über dem Meer gelegen: Sidi Bou Said, einst ein Zentrum des Sufismus, benannt nach einem Mystiker des 13. Jahrhunderts. Die malerischen, in Blau- und Weißtönen gehaltenen Gebäude stehen heute unter Denkmalschutz. Der Ort gilt als Künstlerkolonie, wohl auch der Tatsache geschuldet, dass August Macke und Paul Klee 1914 auf ihrer Tunisreise dort Station machten und dort auch einige der bekannteren Aquarelle entstanden sind. Kaum vorstellbar, dass August Macke wenige Monate später im Ersten Weltkrieg in der Champagne fiel, gerade einmal 27-jährig.
Tunis selbst, ein wenig landeinwärts gelegen, zeigt zunächst ein sehr westlich-europäisches, französisches Bild. Breite Alleen, Uhrtürmchen,Oper, Straßencafes, einiges erinnert an Paris, Lyon… Und auch die Kopftücher dominieren längst nicht so wie in anderen arabischen Staaten. Nach längerem Flanieren kommt man an den Bab el Bhar, das Hafentor, hinter dem die Medina,das alte Tunis, beginnt. Ein Souq, am Anfang mehr touristisch ausgerichtet,dann immer authentischer. Dazwischen eine Reihe bedeutender Moscheen, in die man als Nicht-Muslim gemäß gesetzlicher Verordnung nicht eintreten darf. So bleibt es bei einem Tee in einer der zahlreichen Teestuben, in denen sich die Jugend trifft. Und bei einer Reihe von Fotos in die sich immer wieder öffnenden Winkel und Gässchen.

Kairouan ist das religiöse Zentrum Tunesiens, heute gehörtes zum UNESCO-Weltkulturerbe. Als die Araber 670 begannen, das heutige Tunesien zu erobern, setzte man sich zunächst im Landesinneren fest, weg von dem von den Byzantinern beherrschten Meer. Wenig später entstand die Große Moschee mit dem wehrhaftigen Minarett und einem großen Innenhof und einem sehr weitläufigen Gebetssaal mit sehr schönem Mihrab und Minbar, die man leider nur aus der Ferne bewundern darf. Auch eine Symbiose von alt und antik: beim Bau wurden auch Säulen aus dem antiken Karthago verbaut. Umgeben ist die Medina von Kairouan durch eine erhaltene Stadtmauer. Und davor die für Tunesien so typischen Cafes mit Stühlen und Tischen unter Schatten spendenden Bäumen – voll besetzt und nur von Männern, die anscheinend nichts besseres zu tun haben. Es erinnert daran, dass auch Tunesien unter einer hohen Arbeitslosigkeit leidet, gerade auch unter jungen Erwachsenen. Es bleibt zu hoffen, dass hier künftig Perspektive vermittelt werden kann. Vielleicht auch durch Kultur-Tourismus.

Etwas außerhalb der Stadt eine weitere Attraktion: das Grab des Abū Zamʿa al-Balawī, eines Prophetengefährten, der in der Eroberungsphase gefallen ist. Das Grabmal stellt sich heute viel jünger dar, aus dem späten 17. Jahrhundert, und glänzt mit beeindruckenden Fliesen- und Stuckarbeiten, die ein wenig an den Iran erinnern.
Unser weiterer Weg führt vorbei an Sidi Bouzid. Die Selbstverbrennung von Mohamed Bouazizi am 17.12.2010 dort löste den „Arabischen Frühling“ aus, eine Bewegung, die so hoffnungsvoll begann und in so viel Enttäuschung und Leid resultierte.

Nordafrika muss die Römer begeistert haben. Anders kann man sich den Luxus und Prunk römischer Provinzstädte wie Sbeitla nicht erklären. Es beginnt mit einem Triumphbogen für den Kaiser Diokletian, durch den hindurch man die Stadt betritt: ein weitläufiges Ausgrabungsgelände, von dem wahrscheinlich 80 % noch der Grabung harren. Man erkennt eindrucksvolle Thermenanlagen – öffentliche wie in Privathäusern. Durch den Antoninus-Pius-Triumphbogen betritt man den Tempelbezirk mit drei Tempeln (des Jupiter, der Juno und der Minerva). In der Nähe gibt es ein ganzes Viertel christlicher Kirchenruinen, mit gut erhaltenen Taufbecken und Mosaiken. Ein kleines Museum zeigt einige Funde – auch eine sonst seltene Inschrift aus der Zeit der Wandalen, deren Völkerwanderung in Nordafrika endete. Eine kleine Stärkung gefällig: die kleinen Strassenrestaurants bieten viele kleine Snacks an, z. B. „Tunesisches Fricassé“ oder einen Brik.

Nach Süden hin wird die Landschaft trockener, geht in Halbwüste und Wüste über, die unterbrochen sind von Palmen bestandenen Oasen. Das Zentrum des mittleren Westens ist Tozeur, eine Stadt, die für ihre Ziegel-Ornamente berühmt ist. Am besten erlebt man Stadt und Palmenhaine bei einer Kutschfahrt. Tozeur ist ein guter Ausgangspunkt für Ausflüge in die Wüste und ins nahe Gebirge. Im Geländewagen zeigen die Fahrer gerne ihr Können, Sanddünen hinauf- und hinunterzufahren. Und plötzlich steht man vor einem Wüstendorf, in dem einiges nicht zu passen scheint: Onk Jemal. Hier wurden die Szenen des Films Star Wars, die auf dem Wüstenplaneten Tatoouine spielen, gedreht. Für Cineasten ein Muss! Ganz in der Nähe entstanden Szenen aus „Der englische Patient“. Und wenn man wie wir Glück hat, sieht man auch einen Schakal oder einen Wüstenfuchs, den Fennek.

Im Westen der Wüste liegen die Ausläufer des Aurès-Gebirges, das die Verlängerung des Atlas darstellt. Wilde Felsformationen, dazwischen Schluchten vom Wasser gebildet, kleine Bergoasen. Die am Hang gelegene Bergoase Chebika wurde vor 50 Jahren durch Überschwemmungen zerstört – man zog ins Tal und hat seitdem die alten Häuser liebevoll restauriert: ein Einblick in das Leben vor 50 Jahren. Ein Wanderweg führt bis zu einer winzigen Quelloase: mit türkisfarbenem Wasser, mit einigen Palmen in einer ansonsten schroffen Bergwelt, ein wenig weiter ein kleiner Wasserfall! Es erinnert an ähnliche Orte im Oman. An einer der serpentinenreichen Strassen ein Aussichtpunkt: es werden Mineralien, versteinerte Holzstücke und diverser Nippes zum Kauf angeboten – sehr viele Touristen scheinen aber nicht vorbei zukommen. Der Empfang ist trotzdem herzlich. Wir genießen bei einem Grünen Tee mit Kräutern den Blick in die Ebene hinüber ins nahe Algerien: eine gelbbraune Grenze, deren Verlauf man nicht erkennen kann. Im nächsten Ort ein kurzes Gespräch mit einem Souvenirhändler. Er erzählt, dass viele der Souvenirs inzwischen aus China kämen – man versuche in Dörfern und Kooperativen dagegen zu halten, es sei aber nicht einfach, auch weil der Kulturtourismus weiterhin schwierig sei…

Blendend weiß liegt am nächsten Morgen der Salzsee Chott el Djerid vor uns: die Strasse von Tozeur in Richtung Küste geht über einen schnurgeraden Damm. Und dann sehen wir das, was jeder Wüstenreisende sehen möchte: eine Fata Morgana. Die Fahrt führt uns nach Douz, von dem es heißt, es sei das Tor zur tunesischen Sahara. Tatsächlich ist es bis zur Südspitze Tunesiens genauso weit wie nach Tunis – leere Landschaft. Einst Ausgangspunkt für Karawanen bietet Douz nun die Möglichkeit zur Wüstenerfahrung: per Dromedar oder per Quad, geleitet durch ortskundige Führer. Auch ein idealer Ort, um ein typisches Mitbringsel zu erstehen: Wüstenrosen – eine besonders schöne Form von Sand und Gips. Vielleicht sollte man im Dezember wieder hierher kommen: dann findet das Sahara-Festival statt – mit Musik, Tanz, Literatur und Fantasias.

Die Weiterfahrt nach Osten führt durch das Gebirge. Es heißt, man hätte bis vor wenigen Jahren nur mit Geländewagen diese Region bereisen können. Es ist altes Berberland. Sie sind die Ureinwohner des Maghreb, haben eine eigene Sprache – Tamaziyt – mit zahlreichen Dialekten und einer eigenen Schrift – ihre bekanntesten Vertreter sind die Tuareg. In Tunesien sind sie eine Minderheit, der aber offensichtlich keine Sonderrechte eingeräumt werden:es soll keinen Schulunterricht in Tamaziyt geben, auch kein Fernsehprogramm. Aber man spricht zuhause Tamaziyt und gibt es so an die nächsten Generationen weiter.

Zu den Berbern gehören auch eigene Lebensformen, so Höhlenwohnungen, die vor Hitze und Kälte schützen – denn auch Ende Februar wurde es in der Region empfindlich kalt. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist das Übernachten in einer Höhle schon, die Räume sind recht niedrig, aber auch herrlich ruhig. Eine Erfahrung, die man machen sollte! Am nächsten Tag lernen wir die Ksars kennen.Die Berber lebten lange Zeit halbnomadisch – und die wie Burgen aussehende Ksars waren Vorratskammern, in denen man auch all die Habseligkeiten zusammen mit den Alten, Kindern und einigen Wächtern ließ, wenn man mit den Tieren zu den Sommerweiden zog. Jede Familie hatte eine oder mehrere “Ghorfas”, die z. T. übereinander angeordnet und nur über winzige Treppen zugänglich sind. Heute haben sich hier z. T. kleine Ateliers und Teestuben eingerichtet. Sehr zu empfehlen: „Antilopenhörnchen“, Blätterteigröllchen mit einer Füllung aus Nüssen, Mandeln und Marzipan, die man auch im nahen Tataouine bekommt.
Abends im Hotel fallen im Foyer einige alte Fotos auf: Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg, als 1943 in der Oase Ksar Ghilane 70 km westlich Rommels Afrikakorps auf die Freien Französischen Streitkräfte de Gaulles stieß und die Oase nicht einnehmen konnte. Für das besetzte Frankreich ein emotional wichtiger Lichtblick. Tunesien war von 1881 bis 1956 französisches Protektorat.
Von Medenine sind es noch 120 km zur libyschen Grenze. Nicht dass dies beunruhigend wäre. Aber die Straße ist nun voll mit LKWs, am Straßenrand wird aus Fässern und Kanistern Benzin verkauft, wohl Schmuggelware.Und man sagt, dass man das damit Ersparte in Motorreparaturen wieder verliert.Da laden die ebenfalls zahlreichen Obst- und Gemüsestände eher zum Kaufen ein. Und von Medenine ist es auch nicht weit auf die Ferieninsel Djerba – doch das wäre eine andere Reise.

Wir fahren statt dessen die Küste entlang weiter nach Norden. Der Gewürzmarkt in Gabés enttäuscht ein wenig. Der kleine Küstenort Mahrés macht mit einem Skulpturenfestival von sich reden – die Beiträge der Künstler sind entlang der Corniche aufgestellt. Ein richtiges Highlight erwartet uns erst in El Djem: schon wenn man in das Städtchen hineinfährt, fallen die monumentalen Bögen eines großen Gebäudes aus römischer Zeit ins Auge: Das Amphitheater. Ausgelegt für 35.000 Zuschauer wird es in Größe nur vom Kolosseum in Rom und dem Amphitheater in Capua übertroffen (und ist damit größer als die Arena von Verona für 30.000!). Geschätzte Zweidrittel der Rotunde sind bis in die hohen Ränge erhalten, ebenso die Kellergewölbe. Ein weiteres Drittel hat man behutsam modern ergänzt. Im Sommer findet alljährlich das Internationale Festival für Sinfonische Musik statt – vor einer wirklich beeindruckenden, dann angestrahlten Kulisse. Und ich bin sicher: es ist nicht so überlaufen wie die Arena von Verona.

Sousse ist die drittgrößte Stadt Tunesiens, auch eine phönizische Gründung. Die heutige Altstadt ist arabisch geprägt – in den typischen Weiß- und Blautönen gehalten, nicht so herausgeputzt wie das Künstlerdorf Sidi Bou Said, authentisches Altstadtleben mit den typischen Läden, die die Einwohner brauchen: Bäckereien, kleine Teehäuser. In einer kleinen Weberei spindelt der Großvater die Fäden, der Vater webt an einem sehr traditionellen Webstuhl Kelims, die Kinder spielen davor auf der – natürlich – verkehrsberuhigten — Strasse, durch die von Zeit zu Zeit ein Moped braust. Durch die Medina geht es zum Ribat, der Stammzelle des arabischen Sousse: hier entstand 821 eine kleine Festung. Das Minarett diente als Wachturm. Der Gebetsraum über dem Eingangstor wurde mit Schießscharten ausgestattet. Ein auch militärisch genutzter Innenhof. Vom Minarett aus hat man einen schönen Blick auf die zum UNESCO Weltkulturerbe gehörende Stadt: den Hafen, die Hauptmoschee aus dem 9. Jahrhundert, die Stadtmauer, die Medina und über ihr thronend die Festung.

In der gibt es ein Museum, von dem Kenner sagen, dass es mit dem Bardo-Museum in Tunis konkurrieren kann: eine exquisite Sammlung römischer Mosaike – von „Werbemosaiken“ für Spiele in der Arena über christliche und heidnische Motive bis zu einer Übersicht der gefangenen Fische. Besonders bemerkenswert: ein Mosaik der Medusa – stilecht mit einem darüber montierten Spiegel, damit Besucher nicht zu Schaden kommen.
Ein Resumé: Tunesien hat so viel mehr zu bieten als Strandurlaube: das kulturelle Erbe ist vielfältig und beeindruckend, die Landschaft nicht minder. Die Menschen sind nett und offen – und man kommt mit Französisch relativ weit. Hinzu kommt eine recht gute Hotel-Infrastruktur –und: Tunesien ist nicht weit entfernt: der Flug von Frankfurt dauert gerade einmal etwas mehr als zwei Stunden. Warum also nicht einmal eine Kulturreise nach Tunesien unternehmen? Lingua & Cultura Tours bieten solche Reisen an.