Israel — Land der Väter

Jeru­sa­lem — Tem­pel­berg — Fel­sen­dom — pho­to: LCTours

Der Salat lacht an, die roten Toma­ten, gel­ben Papri­kas, grü­nen Blät­ter. Das bekann­te „cook it, peel it or lea­ve it“ geht kurz durch den Kopf, und dann der beru­hi­gen­de Gedan­ke: man ist in Isra­el, und dort kann man zugrei­fen und genie­ßen – ein Genuss ohne Reue für die gan­ze Grup­pe an allen Tagen. Isra­el ist Naher Osten – und ist doch ganz anders. In so vie­ler­lei Wei­se. Ein Land, das uns seit unse­ren Kind­heits­ta­gen selt­sam bekannt ist: Beth­le­hem, Jeru­sa­lem, der See Gene­za­reth: wir tra­gen tief in uns Bil­der all die­ser Orte, Bil­der, geprägt von den „Naza­re­nern“, Bil­der, die wir beim Hören der bibli­schen Geschich­ten in uns ent­ste­hen lie­ßen, Bil­der, die oft ver­mischt sind mit dem, was wir täg­lich vor Augen haben. Eine Rei­se nach Isra­el bedeu­tet auch, die­se Vor­stel­lung mit der Rea­li­tät abzu­glei­chen – das Bibli­sche mit einer moder­nen Gesellschaft.

Israel ist anders als seine Nachbarn

Jeru­sa­lem — Mamil­la Dis­trict — pho­to: LCTours

Die­ses Anders­sein Isra­els in der Regi­on, anders durch die Reli­gi­on, durch den Lebens­stil, anders auch in der Wirt­schafts­lei­tung, in High Tech – ist der Schlüs­sel zum Nah­ost-Kon­flikt. Und doch merkt man davon erstaun­lich wenig. Es mag Regio­nen in Isra­el geben – ins­be­son­de­re in der Nähe des Gaza-Strei­fens – wo die Bedro­hung spür­bar wird – in den Städ­ten wie Tel Aviv oder Jeru­sa­lem ist davon wenig zu mer­ken: es scheint wirk­lich so zu sein, dass man sich im Täg­li­chen arran­giert, man kauft und han­delt in den Basa­ren, schlen­dert – jun­ge Juden und Paläs­ti­nen­ser gemein­sam – durch die neu­ent­stan­de­nen Malls, hat ähn­li­che Mode­wün­sche, trinkt den glei­chen ara­bi­schen Kaf­fee oder Tee mit Min­ze. Aber man spürt doch auch den Vor­be­halt: wie weit kann man sich trau­en – sicher­lich am deut­lichs­ten sicht­bar als Mau­er zwi­schen Jeru­sa­lem und Beth­le­hem. Eine Mau­er löst bei uns Deut­schen natür­lich eine Erin­ne­rung aus, auch dass sie über­wun­den wer­den konn­te. Doch davon scheint man weit ent­fernt zu sein. Wäh­rend man als Tou­rist so ein­fach von einer auf die ande­re Sei­te kommt, bedeu­tet sie für die Paläs­ti­nen­ser ein täg­li­ches Ärger­nis, durch­schnei­det sie doch Wohn­vier­tel und Stra­ßen, trennt, was seit Jahr­tau­sen­den zusam­men­ge­hör­te, kos­tet im täg­li­chen Leben viel Zeit, manch­mal quä­len­de und als demü­ti­gend emp­fun­de­ne Durch­su­chun­gen. Isra­el spricht von einem Erfolg, die Zahl der Auto­bom­ben sei dra­ma­tisch gesun­ken – Men­schen­le­ben zu ret­ten ist das höchs­te Gut jüdi­schen Glau­bens und israe­li­scher Staats­rä­son. Man wird es nicht tie­fer grei­fen kön­nen: hier erreicht man im Gespräch einen Punkt, bei dem die meis­ten Gesprächs­part­ner nicht wei­ter­ge­hen wol­len, zu ver­mint ist das poli­ti­sche Gelän­de, und die Gesprächs­part­ner haben zu viel zu ver­lie­ren, als dass sie mit einem Frem­den offen dis­ku­tie­ren wür­den. Und so bleibt die Fra­ge der Sied­lungs­po­li­tik und der Zwei­staa­ten­lö­sung auf weni­ge Andeu­tun­gen beschränkt.

Die Küste — Römer, Kreuzritter, Moderne

Bau­haus­stil — Tel Aviv — pho­to: LCTours

Isra­el ist klein – unge­fähr so groß wie Hes­sen – die Tages­etap­pen sind daher in ihrer Län­ge über­schau­bar – aber inhalt­lich so reich­hal­tig, dass man nicht umhin kommt, eine Aus­wahl des­sen zu tref­fen, was man sehen möch­te. Will man bei David begin­nen, sind dies immer­hin drei Jahr­tau­sen­de, bei den Urvä­tern kom­men noch eini­ge Jahr­hun­der­te dazu. Bereits am ers­ten Tagen tref­fen Moder­ne und Geschich­te auf­ein­an­der: Tel Aviv ist gera­de ein­mal gut 100 Jah­re alt, ist eine Stadt geprägt vom Bau­haus, denn vie­le Emi­gran­ten hat­ten dort ihre archi­tek­to­ni­sche Grund­aus­bil­dung erhal­ten. Eine wei­ße Stadt am Meer, die nahe am alten Jaf­fa ent­stan­den ist, der Fes­tung der Kreuz­fah­rer und ihrer mus­li­mi­schen Geg­ner, als Mar­ken­zei­chen Sym­bol für Isra­els erfolg­rei­che Land­wirt­schaft und den Zitru­s­an­bau. End­lo­se Strän­de, Jog­ger, fla­nie­ren­de Pär­chen: Tel Aviv wen­det sich dem Mit­tel­meer zu, dem Wes­ten, ist jung, modern, ist das Isra­el eines Ephra­im Kishon oder Amos Oz. Und ein deut­li­cher Kon­tra­punkt zu Jeru­sa­lem mit sei­nen Traditionen.

Hai­fa — pho­to: LCTours

Unweit von Tel Aviv im Nor­den liegt Caesarea, groß­zü­gig mit Wagen­renn­bahn und römi­schem Thea­ter direkt am Meer gele­gen – das dama­li­ge Tor zur Welt, Sitz des römi­schen Statt­hal­ters, heu­te eine der tou­ris­ti­schen Anzie­hungs­punk­te, kommt doch noch eine Kreuz­fah­rer-Fes­tung dazu – letzt­lich ein Kon­kur­rent zum heu­te so schwer auf der syri­schen Sei­te des Golan zugäng­li­chen Stadt Bos­ra mit ihrem römi­schen Thea­ter. Von Caesarea ist es ein Sprung ins Kar­mel­ge­bir­ge, in das sich vor Jahr­hun­der­ten schon die Dru­sen zurück­ge­zo­gen haben, eine ver­schwo­re­ne isla­mi­sche Sek­te, tra­di­tio­nell in Plu­der­ho­sen geklei­det – und recht gute Omni­bus­fah­rer. Der Wein der Gegend wird nur von den noch expo­nier­te­ren Lagen des Golan über­trof­fen. Und expo­nier­te Lagen gibt es auch im Kar­mel­ge­bir­ge: es „stürzt“ bei Hai­fa gera­de­zu ins Meer – und am Steil­hang ist einer der schöns­ten Gär­ten Isra­els ent­stan­den: der Bahai-Gar­ten, rund um das Grab­mal des Grün­ders die­ser Reli­gi­on. In Hai­fa begeg­nen wir auch wie­der den Bau­ten (und Inschrif­ten) der Temp­ler, deut­schen reli­giö­sen Kolon­nis­ten, die sich hier, in Tel Aviv und Jeru­sa­lem im 19. Jahr­hun­dert nie­der­lie­ßen (die meis­ten leben heu­te aller­dings in Aus­tra­li­en), sozu­sa­gen deut­sche Dör­fer grün­de­ten. Nicht weit ent­fernt liegt Akko, die letz­te Hoch­burg der Kreuz­rit­ter auf dem Fest­land Paläs­ti­nas. Die trut­zi­gen Befes­ti­gun­gen, die leb­haf­te Alt­stadt dar­in­nen, ers­te Kara­wan­se­rei­en, Moscheen – hier müss­te man im Som­mer noch­mals Sta­ti­on machen.

In der Heimat Jesu

See Gene­za­reth — pho­to: LCTours

In nur einer Stun­de ist man am See Gene­za­reth, auf 200 m unter dem Mit­tel­meer­spie­gel – auf ein­mal Evan­ge­li­en pur, auch wenn der eine oder ande­re Ort ein wenig „zurecht­ge­rückt“ wur­de, um für Pil­ger (und Tou­ris­ten) leich­ter erreich­bar zu sein. Aber den­noch: plötz­lich ist alles authen­tisch – am stärks­ten viel­leicht in Mag­da­la, wo man beim Bau eines neu­en Pil­ger­quar­tiers auf Rui­nen aus Jesus Zeit stieß – und ent­spre­chend umpla­nen muss­te. Der Blick über den Haupt­al­tar die­ser Pil­ger­stät­te auf den See, oder vom Berg der Selig­prei­sun­gen: man kann sich vor­stel­len, wie hier gepre­digt und dis­ku­tiert wur­de, wie hier gefischt wur­de, dass es bei der Grö­ße des Sees auch ziem­lich stür­misch wer­den konn­te. Und beim Ver­zehr des St. Peter-Fischs krei­sen die Gedan­ken wie von allei­ne rund um die wun­der­sa­me Brot- und Fisch­ver­meh­rung. Der Golan mit dem immer­hin gut 2.800 m hohen Her­mon liegt im Dunst am Hori­zont, dahin­ter ist schon Syri­en, das der­zeit durch so schwe­re Zei­ten geht. Für Isra­el ist der Golan die Was­ser­quel­le per se – der See Gene­za­reth ein wich­ti­ger Was­ser­spei­cher, der sicher­stellt, dass Tel Aviv und Jeru­sa­lem nicht auf dem Tro­cke­nen sitzen.

Naza­reth — pho­to: LCTours

Naza­reth tut sich etwas schwer mit dem Erbe Jesu, wird doch über sei­ne Jugend­zeit dort eigent­lich nichts berich­tet. So hat man sich auf den Bau einer moder­nen Mari­en­kir­che mit vie­len inter­na­tio­na­len Mari­en­dar­stel­lun­gen kon­zen­triert – und hat über einer Höh­le die Josephs­kir­che dane­ben­ge­stellt. Ob aber die Mik­we, die man in der Kryp­ta frei­ge­legt hat, wirk­lich als Beweis dafür betrach­tet wer­den kann, dass es sich hier­bei um das Wohn­haus und die Werk­statt Josefs han­delt? Schwer vor­stell­bar, dass ein noch so guter Zim­mer­mann sich damals die­sen Luxus im eige­nen Haus leis­ten konn­te. Und dann gibt es noch einen deut­schen Sol­da­ten­fried­hof!? Auf Hin­ter­fra­gen kommt her­aus, dass es sich u. a. um gefal­le­ne Flie­ger han­del­te, die im ers­ten Welt­krieg die Hed­schas­bahn des osma­ni­schen Reichs durch Patrouil­len­flü­ge schüt­zen soll­ten (sie­he „Law­rence of Ara­bia“). Im benach­bar­ten Kanaa spiel­te mein Lieb­lings­wun­der der Bibel: Was­ser zu (gutem!) Wein zu machen. Ein biss­chen Ana­lo­gie zum Wein­bau im heu­ti­gen Isra­el klingt dann doch an: wo es genug Was­ser für die Reben gibt, ent­steht ein vor­züg­li­cher, tro­cke­ner Wein – rot und weiß – bei­de sehr trink­bar, der ein­ge­hen­de Test zeig­te: ein Genuss ohne Reue am nächs­ten Mor­gen… Direkt unter­halb Von Naza­reth erstreckt sich das Jeze­el-Tal. Hier bei Arma­ged­don soll – so Johan­nes in sei­ner Offen­ba­rung – die end­zeit­li­che Ent­schei­dungs­schlacht zwi­schen Gut und Böse stattfinden.

Das Tote Meer

Masa­da — pho­to: LCTours

Den Jor­dan ent­lang geht es nach Süden. Zu sehen ist nicht viel von ihm, und das ist das Pro­blem des Toten Mee­res, des­sen Was­ser­spie­gel immer wei­ter sinkt. Der Jor­dan bil­det die Gren­ze zu Jor­da­ni­en, und die Stra­ße führt in gebüh­ren­dem Abstand vom Fluss – und lässt Platz genug für Zäu­ne und Über­wa­chungs­ein­rich­tun­gen, wohl auch mehr. Zwei Brü­cken ver­bin­den die Staa­ten, die süd­li­che, nahe am Beginn des Toten Meers bei Jeri­cho, heißt inzwi­schen nach König Hus­sein von Jor­da­ni­en, frü­her kann­te man sie als Allen­by-Bridge (nach dem Ober­kom­man­die­ren­den der Eng­län­der 1918).
Die Über­ra­schung am Toten Meer: es gibt eigent­lich zwei! Der süd­li­che, rela­tiv fla­che Salz­see weist beein­dru­cken­de Salz­schol­len auf, eig­net sich aber auch zum Baden. Das nörd­li­che, eigent­li­che Tote Meer ist hin­ge­gen sehr tief (400 m!) und liegt dabei doch schon an der Ober­flä­che 400 m unter dem Mit­tel­meer­ni­veau. Auf bei­den Sei­ten Wüs­te, beein­dru­cken­de Ber­ge, einer der steils­ten: Massa­da. Kon­zi­piert von Hero­des als Rück­zugs­ort im Fal­le von Auf­stän­den fand hier das letz­te Kapi­tel des Jüdi­schen Kriegs rund um das Jahr 70 n. Chr. statt: Knapp Tau­send Juden hat­ten sich hier ver­schanzt, ver­füg­ten über Was­ser und Vor­rä­te und hiel­ten so drei Jah­re lang bis zu 4 römi­schen Legio­nen stand. Vor dem Sturm über die auf­ge­schüt­te­te Ram­pe begin­gen die Ver­tei­di­ger kol­lek­ti­ven Selbst­mord, um nicht in Gefan­gen­schaft zu gera­ten. Ein Sinn­bild jüdi­scher Wehr­haf­tig­keit, ein wich­ti­ger Bau­stein im israe­li­schen Selbst­ver­ständ­nis, ver­gleich­bar letzt­lich nur mit dem War­schau­er Ghet­to-Auf­stand und den Erfol­gen in den israe­lisch-ara­bi­schen Kriegen.

Kib­buz Ein Gedi — pho­to: LCTours

Unweit davon, ange­lehnt an einen Wadi, der meist aus­ge­trock­net ist, aber auch Sturz­flu­ten auf­wei­sen kann, liegt das Kib­buz Ein Gedi – inmit­ten eines ein­zig­ar­ti­gen Bota­ni­schen Gar­tens. Neben dem Dat­tel­an­bau liegt der Schwer­punkt des Kib­buz heu­te im Betrieb eines Feri­en­dorfs in die­ser herr­li­chen Lage, mit Spa-Zen­trum, der Mög­lich­keit im Toten Meer zu baden (Sie wis­sen schon: auf dem Rücken lie­gend Zei­tung lesen). Ein per­fek­ter Rück­zugs­ort im Win­ter, es ist mit 20 bis 25°C ange­nehm, die Son­ne scheint ein wenig die­sig, man sagt, dies las­se nur die „guten“ UV-B-Strah­len durch – braun gebrannt sind die bereits län­ger Aus­har­ren­den jedenfalls.

Jerusalem — drei Weltreligionen heilig

Vom Toten Meer ist es eigent­lich ein Kat­zen­sprung über die gut aus­ge­bau­te Schnell­stra­ße nach Jeru­sa­lem, vor­bei am Rast­platz zum guten Sama­ri­ter, an Bedui­nen, die ihre Her­den am Abend zusam­men­trei­ben – eine Fahrt durch die Judäi­sche Wüs­te mit ihren Ber­gen, jetzt Ende Janu­ar mit einem Hauch von Grün über­zo­gen, es hat­te ein wenig gereg­net. Und dann wer­den die ers­ten Tür­me erkenn­bar: am Sco­pus-Berg mit der Hebrew Uni­ver­si­ty machen wir Sta­ti­on, wer­fen einen ers­ten Blick auf Jeru­sa­lem, hören (und sum­men mit) das Lied Yerus­ha­la­im von Nao­mi Sche­mer (1967), eini­gen bekannt als Musik der Schluß­sze­ne des Films Schind­lers Lis­te. Und dazu sto­ßen wir mit Rot­wein und ein wenig Brot an. Es ist emo­tio­nal bewe­gend, aber Jeru­sa­lem ist auch eine ganz beson­de­re Stadt – für die Juden, uns Chris­ten und die Mos­lems, und das ist gleich­zei­tig das Problem …

Heu­te ist Jeru­sa­lem eine Mil­lio­nen­stadt, deren Gren­zen kaum über­blickt wer­den kön­nen – es ver­teilt sich auf so vie­le Hügel. Und das macht es nicht ein­fach, sich das Jeru­sa­lem zur Zeit Jesu oder der Kreuz­fah­rer vor­zu­stel­len. Zu Jesu Zei­ten war Jeru­sa­lem merk­lich klei­ner als die heu­ti­ge Alt­stadt mit ihrem Mau­er­ring, der unter Suley­man dem Präch­ti­gen im 16. Jahr­hun­dert ent­stand, denn Gol­ga­tha, das Grab und damit die spä­te­re Gra­bes­kir­che stan­den außer­halb. Der Ölberg, der Gar­ten Get­se­ma­ne lie­gen außer­halb der Stadt, sie sind umge­ben von weit­läu­fi­gen Fried­hö­fen – Juden, Chris­ten, Mus­li­me: alle woll­ten an hei­li­ger Stät­te begra­ben wer­den. Für eini­ge Mit­rei­sen­de ein Schock: die Via Dolo­ro­sa führt quer durch den Basar: Kom­merz und from­me Pil­ger tref­fen auf­ein­an­der, haben sich anein­an­der gewöhnt – und so muss es wohl auch damals gewe­sen sein: die römi­sche Besat­zungs­macht woll­te zei­gen, wer der Herr im Haus war, und was man mit Auf­rüh­rern (und denen, die man zu sol­chen abstem­pel­te) machen wür­de. Es macht betrof­fen. Nicht alles mag exakt an der Stel­le gesche­hen sein, an die es die Tra­di­ti­on gesetzt hat (wie z. B. der Abend­mahls­saal, ein goti­scher Gewöl­be­bau aus der Kreuz­rit­ter­zeit), aber es war zumin­dest sehr nah dabei. Und vie­le Bei­spie­le zei­gen, wie weit sich die Tra­di­ti­on zurück­ver­fol­gen lässt – und sei es, dass man bewusst römi­sche Tem­pel auf der­ar­ti­gen Stät­ten errich­te­te, um einen Kult zu unter­bin­den – oder die Oli­ven­bäu­me abschlug.

Jeru­sa­lem — Fel­sen­dom — pho­to: LCTours

Der Tem­pel­berg zeigt, dass Jeru­sa­lem heu­te stark mus­li­misch geprägt bleibt: an der Stel­le des Fel­sen­doms soll Moham­med sei­nen Him­mels­ritt ange­tre­ten haben, dane­ben die AlAk­sah-Moschee, die Haupt­mo­schee der Stadt – über­haupt ist Jeru­sa­lem die dritt­hei­ligs­te Stadt des Islam. Und direkt dane­ben – aber deut­lich abge­schirmt – die Kla­ge­mau­er, die im Ori­gi­nal erhal­ten geblie­be­ne West­mau­er des Tem­pel­be­zirks des Salo­mon. Hier ste­hen die from­men, oft ortho­do­xen Juden, hal­ten ihre Hän­de an die Wand, ste­cken klei­ne Zet­tel­chen mit Segens­wün­schen in die Mau­er­rit­zen, lesen in der Tho­ra. Auch uns lässt man bereit­wil­lig dazu tre­ten, eben­falls die Hand an die Mau­er hal­ten, ein Ort des Gebets.

Nicht weit davon ent­fernt das jüdi­sche Vier­tel, das geprägt ist von den ortho­do­xen Juden in ihren dunk­len Anzü­gen, mit Schwar­zen Hüten, Kip­pas und pelz­be­setz­ten Hüten, mit den Locken, den schnel­len Schrit­ten, ins­be­son­de­re wenn am Frei­tag Abend der Sab­bat beginnt. Man eilt zum gemein­sa­men Mahl und Gebet. Jeru­sa­lem wird auf ein­mal sehr jüdisch. Dann aber erklingt wie­der der Ruf des Muez­zin von zahl­rei­chen Moscheen, die in der Nacht grün, in der Far­be des Pro­phe­ten, mar­kiert sind. Und dazwi­schen christ­li­ches Glo­cken­läu­ten – von zahl­rei­chen ver­schie­de­nen Kon­fes­sio­nen, eine Viel­falt, wie wir sie hier in Deutsch­land gar nicht ken­nen, wie man ihr viel­leicht noch in Syri­en begeg­nen konn­te. Und bei all die­ser kom­ple­xen Gemenge­la­ge geht es – soweit wir sehen konn­ten – erstaun­lich fried­lich vor. Ja: es gibt in Jeru­sa­lem mehr Mili­tär und Poli­zei als anders­wo, aber den­noch erstaun­lich wenig. Es sieht so aus, als ob man sich arran­giert hät­te: In der Mamil­la Mall, im ehe­ma­li­gen Nie­mands­land vor 1967, schei­nen jeden­falls jun­ge Paläs­ti­nen­ser und jun­ge Israe­lis sehr ähn­li­che Inter­es­sen zu haben: Shop­ping, Dining, Sehen und Gese­hen-Wer­den. Normalität.

Yad Vas­hem — pho­to: LCTours

Eine Nor­ma­li­tät, die his­to­risch gese­hen alles ande­re als Selbst­ver­ständ­lich ist. Die Gedenk­stät­te Yad Vas­hem hält die Erin­ne­rung an den Holo­caust wach, in einer beein­dru­cken­den Form: mit zahl­rei­chen Erin­ne­rungs­stü­cken und Inter­views in einem lan­gen, rela­tiv dunk­len Gang, der sich gegen Ende nach Jeru­sa­lem öff­net – ein Zei­chen der Hoff­nung und des Glau­bens an die Zukunft. Der Holo­caust ist gemein­sa­me deutsch-jüdi­sche, schreck­li­che Geschich­te. Aber die Form, in der die­se Geschich­te hier ver­sucht wird auf­zu­ar­bei­ten, setzt dar­auf, dass sich dies nicht wie­der­ho­len darf. Es ist eine sehr gute Erfah­rung, dass man als Deut­scher in Isra­el – trotz die­ser Geschich­te – will­kom­men ist, ja, dass man hier den gemein­sa­men Ansatz zu einer bes­se­ren Welt sieht, ein beach­tens­wer­tes Bei­spiel von „Nor­ma­li­tät“ auch im Umgang mit uns, den Deutschen.

Und schließlich Bethlehem

Beth­le­hem — Geburts­kir­che — pho­to: LCTours

Die Fahrt ins nahe Beth­le­hem zeigt, wo die Nor­ma­li­tät endet: eine Mau­er durch­zieht das Land – es bleibt unklar, wohin die ein­zel­nen neu-hoch­ge­zo­ge­nen Stadt­vier­tel gehö­ren. Sind das schon „Sied­lun­gen“? Wäh­rend wir die Mau­er unpro­ble­ma­tisch durch­que­ren kön­nen, steht par­al­lel eine lan­ge Schlan­ge, die ihrer Klei­dung nach zu beur­tei­len Paläs­ti­nen­ser sind und die zurück nach Beth­le­hem wol­len. Im Gespräch im „Auto­no­mie­ge­biet“ in Beth­le­hem wird die Illu­si­ons- und Aus­sichts­lo­sig­keit der Situa­ti­on der Paläs­ti­nen­ser deut­lich: ein Fle­cken­tep­pich ist das Gebiet der Zonen A und B (des Abkom­mens von Oslo), die zum Auto­no­mie­ge­biet gehö­ren. Eine Zwei­staa­ten-Lösung: unser paläs­ti­nen­si­scher Gesprächs­part­ner kann sich ein Lächeln nicht ver­knei­fen: „Sehen Sie doch selbst: das kann doch gar nicht auf die­ser Basis funk­tio­nie­ren“. Und Beth­le­hem ist noch ein Son­der­fall, wäh­rend die christ­li­chen Paläs­ti­nen­ser sonst eine klei­ne Min­der­heit sind, stel­len sie hier sogar den Bür­ger­meis­ter und bil­den die Mehr­heit. Und leben dank der Tou­ris­ten und der Geburts­kir­che sicher­lich auch bes­ser als die meis­ten ihrer Lands­leu­te. Wo könn­te der Ver­kauf von aus Oli­ven­holz geschnitz­ten Krip­pen bes­ser hin­pas­sen? Im Zen­trum steht die Geburts­kir­che, man muss sich tief bücken, um hin­ein zu gelan­gen. Drin­nen eine Mischung aus beein­dru­ckend alter Bau­sub­stanz, ortho­do­xen Altä­ren und Iko­no­sta­sen, die Ere­mi­ta­ge des Hie­ro­ni­mus (der hier die frü­he latei­ni­sche Bibel­über­set­zung, die „Vul­ga­ta“, erstellt haben soll) und schließ­lich die Geburts­grot­te, der Stern, der die Stel­le der Geburt mar­kie­ren soll. Wenig ent­fernt und heu­te bebaut die Fel­der, auf denen die Hir­ten ihre Her­den hüte­ten, sie in einer Grot­te zur Nacht zusam­men­trie­ben. Wenn man sich all die Bau­ten weg denkt: ja so könn­te es gewe­sen sein. Nur das „Stil­le Nacht“, das eini­ge deut­sche Pil­ger anstim­men, passt so gar nicht hierher.

Ein Resu­mé: nicht ganz ein­fach. Am Ende einer sol­chen Rei­se ste­hen mehr Fra­gen als zu Beginn. Der Kon­flikt wird greif­ba­rer, dass es im All­tag doch meist bes­ser aus­sieht, als es die Medi­en­be­rich­te glau­ben machen, ist eine fas­zi­nie­ren­de Erfah­rung. Man wünscht allen Betei­lig­ten, dass sie einen Weg des Mit­ein­an­der fin­den, dass Pro­vo­ka­tio­nen auf­hö­ren, bewuss­tes Ver­let­zen, dass eine ange­mes­se­ne Mit­be­stim­mung mög­lich wird. Dies wird vie­len viel abver­lan­gen. Und den Gesprä­chen konn­te man ent­neh­men, dass man mit Rabin schon sehr nah an einer Wei­ter­ent­wick­lung, an einem Aus­gleich war als er ermor­det wur­de. Seit­dem klingt es nach Still­stand, oft nach Rück­schritt. Es sind vie­le Aspek­te, die berück­sich­tigt sein wol­len: Jeru­sa­lem spielt dabei sicher­lich eine zen­tra­le Rolle.